Pflegegrad beantragen – So geht es Schritt für Schritt

Wer Angehörige pflegt, weiß: Irgendwann stößt man an Grenzen. Genau hier greift die Pflegeversicherung ein – mit finanzieller Unterstützung, die an einen Pflegegrad gekoppelt ist. Doch wie beantragt man diesen Pflegegrad eigentlich? Und worauf sollte man achten, damit es nicht unnötig kompliziert wird?

Wir haben die wichtigsten Punkte in einem übersichtlichen Leitfaden für Sie zusammengefasst.

Was bedeutet „Pflegegrad“ eigentlich?

Ein Pflegegrad beschreibt, wie stark ein Mensch in seiner Selbstständigkeit eingeschränkt ist. Es geht also nicht darum, wie viel Zeit Angehörige oder ein Pflegedienst aufwenden, sondern darum, wie gut jemand Alltagssituationen alleine bewältigen kann.

Gutachterinnen und Gutachter betrachten dafür sechs Lebensbereiche – darunter Mobilität, Selbstversorgung oder den Umgang mit Krankheiten. Aus allen Bereichen ergibt sich eine Punktzahl, die am Ende in einen der fünf Pflegegrade eingestuft wird:

  • Pflegegrad 1: geringe Einschränkungen

  • Pflegegrad 2–3: erhebliche bis schwere Einschränkungen

  • Pflegegrad 4–5: schwerste Beeinträchtigungen bis hin zu besonderen Härtefällen

Je höher der Pflegegrad, desto umfangreicher sind die Leistungen, auf die Anspruch besteht – vom Pflegegeld bis zu Pflegesachleistungen.

Wer kann einen Pflegegrad beantragen?

Grundsätzlich kann jede Person einen Pflegegrad beantragen, die gesetzlich oder privat pflegeversichert ist – unabhängig vom Alter. Voraussetzung ist, dass die Einschränkungen voraussichtlich mindestens sechs Monate andauern. So soll sichergestellt werden, dass nur dauerhafte Beeinträchtigungen berücksichtigt werden.

Wo stellt man den Antrag?

Der Antrag wird bei der Pflegekasse gestellt, die der eigenen Krankenkasse angegliedert ist. Ein Anruf reicht aus, um den Prozess zu starten. Ab diesem Tag zählt das Antragsdatum, anschließend verschickt die Pflegekasse die notwendigen Formulare.

Ein wichtiger Hinweis: Notieren Sie sich unbedingt das Datum des ersten Anrufs. Es entscheidet darüber, ab wann die Leistungen rückwirkend gewährt werden können.

Welche Fristen gelten?

Die Pflegekasse ist gesetzlich verpflichtet, innerhalb von 25 Arbeitstagen über den Antrag zu entscheiden. In besonderen Fällen gelten verkürzte Fristen: Wenn sich der Patient im Krankenhaus oder Hospiz befindet oder palliativ versorgt wird, muss das Gutachten innerhalb einer Woche erstellt sein. Wird Pflegezeit oder Familienpflegezeit beantragt, gilt eine Frist von zwei Wochen.

Wird die gesetzliche Bearbeitungsfrist überschritten, haben Antragsteller Anspruch auf eine Entschädigung von 70 Euro pro Woche.

Pflegegrad beantragen: So gehen Sie vor

Einen Pflegegrad zu beantragen, wirkt auf den ersten Blick kompliziert. Mit einer guten Vorbereitung und dem richtigen Wissen ist der Ablauf jedoch klar strukturiert. Hier finden Sie einen leicht verständlichen Fahrplan – von der ersten Idee bis zur Entscheidung der Pflegekasse.

Schritt 1: Vorbereitung ist das A und O

Bevor Sie den Antrag stellen, sollten Sie sich ein genaues Bild der Pflegesituation machen.

  • Führen Sie ein Pflege-Tagebuch über ein bis zwei Wochen: Notieren Sie, wann und wobei Unterstützung nötig ist – beim Waschen, An- und Auskleiden, Essen, Toilettengängen oder beim Treppensteigen. Auch nächtliche Unruhe oder Orientierungsschwierigkeiten gehören dazu.

  • Legen Sie eine Mappe mit Unterlagen an: Arztberichte, Diagnosen, Entlassbriefe, Medikamentenplan sowie eine Übersicht über vorhandene Hilfsmittel.

  • Binden Sie die Angehörigen ein und überlegen Sie, ob Sie eine Pflegeberatung nach § 7a SGB XI nutzen möchten. Diese ist kostenlos und wird über die Pflegekasse vermittelt.

Schritt 2: Antrag stellen

Den Antrag stellen Sie bei der Pflegekasse, die Ihrer Krankenkasse angeschlossen ist. Ein Anruf genügt – ab diesem Zeitpunkt zählt das Datum. Die Formulare erhalten Sie anschließend per Post. Notieren Sie sich unbedingt den Tag des Anrufs, da die Leistungen ab diesem Datum rückwirkend bewilligt werden können.

Schritt 3: Begutachtung durch den Medizinischen Dienst

Nach dem Antrag folgt die Begutachtung. Der Medizinische Dienst (bei Privatversicherten: Medicproof) kommt zu Ihnen nach Hause und prüft, wie selbstständig die betroffene Person ist.

Wichtige Tipps:

  • Realität zeigen: Spielen Sie nicht „es läuft alles gut“. Zeigen Sie die tatsächlichen Schwierigkeiten im Alltag.

  • Angehörige dabeihaben: Sie können Details ergänzen und entlasten in der Gesprächssituation.

  • Konkrete Beispiele nennen: Stürze, Vergesslichkeit, Schmerzen, Wunden, Insulinspritzen oder aufwendige Verbandswechsel sollten Sie klar benennen.

  • Wohnumfeld zeigen: Treppen, enge Bäder oder fehlende Haltegriffe sind wichtige Informationen.

Die Gutachter bewerten verschiedene Lebensbereiche. Besonders stark gewichtet wird die Selbstversorgung (z. B. Körperpflege, Ernährung), daneben spielen auch Mobilität, Alltagsgestaltung und der Umgang mit Krankheiten eine Rolle.

Schritt 4: Bescheid und Leistungen

In der Regel erhalten Sie den Bescheid innerhalb von 25 Arbeitstagen. Prüfen Sie genau: Welcher Pflegegrad wurde anerkannt? Ab wann gilt er? Ist die Begründung nachvollziehbar? Und: Welche Widerspruchsfrist wurde genannt?

Welche Leistungen gibt es? (Stand 2025)

  • Pflegegeld, Pflegesachleistungen oder eine Kombination – die Beträge wurden zuletzt 2025 um 4,5 % erhöht.

  • Entlastungsbetrag von 131 € pro Monat für alle Pflegegrade, z. B. für Betreuung oder Hilfen im Alltag.

  • Verhinderungspflege und Kurzzeitpflege: Seit Juli 2025 als gemeinsames Jahresbudget von bis zu 3.539 € flexibel nutzbar.

  • Pflegehilfsmittel, wohnumfeldverbessernde Maßnahmen, Pflegekurse und Beratung: Zuschüsse und Hilfen über die Pflegekasse beantragbar.

Ein Blick auf die Website Ihrer Pflegekasse lohnt sich – dort finden Sie aktuelle Leistungsübersichten und Formulare.

Praxisbeispiel

Herr K. lebt mit Diabetes und einer chronischen Wunde, außerdem kommt es regelmäßig zu Stürzen. So hat er sich vorbereitet:

1. Er führte sieben Tage lang ein Pflege-Tagebuch: Hilfebedarf beim Ankleiden, zweimaliges nächtliches Aufstehen, Insulinspritzen durch Angehörige, täglicher Verbandswechsel.

2. Er legte eine Mappe an mit Medikamentenplan, Arztbrief, Foto der Wunde und einer Liste der Hilfsmittel.

3. Während der Begutachtung zeigte er die Treppe im Haus, das enge Bad ohne Haltegriffe und schilderte die täglichen Herausforderungen.

4. Direkt nach dem Besuch notierte er die wichtigsten Punkte des Gesprächs, um später darauf zurückgreifen zu können.

Typische Fehler – und wie Sie sie vermeiden

  • Beschönigen: Zeigen Sie die echte Pflegesituation, auch wenn es schwerfällt.

  • Zu wenige Nachweise: Geben Sie Arztberichte und das Pflege-Tagebuch mit.

  • Alleine sein: Nehmen Sie Angehörige oder den Pflegedienst mit ins Gespräch.

  • Fristen verpassen: Notieren Sie das Eingangsdatum des Bescheids und reagieren Sie rechtzeitig.

Nach dem Bescheid: Leistungen richtig nutzen

  • Wählen Sie die für Sie passende Leistung: Pflegegeld, Pflegesachleistung oder eine Kombination.

  • Planen Sie den Entlastungsbetrag von 131 € monatlich sinnvoll ein – etwa für eine Alltagshilfe oder Begleitung.

  • Nutzen Sie das gemeinsame Budget von 3.539 € für Verhinderungs- und Kurzzeitpflege, wenn Angehörige eine Auszeit brauchen.

  • Denken Sie an die verpflichtenden Beratungstermine (§ 37.3 SGB XI), um das Pflegegeld dauerhaft zu sichern.

Fazit

Einen Pflegegrad zu beantragen, ist mit etwas Vorbereitung gut machbar. Dokumentieren Sie den Pflegealltag, sammeln Sie Nachweise und nehmen Sie die Begutachtung ernst. So erhöhen Sie die Chance auf eine faire Einstufung – und sichern sich die Unterstützung, die Ihnen und Ihrer Familie zusteht.

Sie möchten Unterstützung beim Antrag oder bei der Vorbereitung auf den MDK-Besuch? Dann sprechen Sie uns an – wir beraten Sie gerne persönlich.